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Cybergrooming - auf der Jagd nach Opfern

Der ARD-Psychothriller «Das weisse Kaninchen» von Florian Schwarz zum Thema «Cybergrooming» fand dieser Tage grosse Beachtung. Trotz  herausragender schauspielerischer Leistungen und viel beachteter künstlerischer Kreativität ist der Film aber keine Prävention, sondern bleibt ein filmisches Meisterwerk, das sich nur unter Vorbehalt und guter Vorbereitung für den Einsatz im Unterricht auf der 3. Oberstufe eignet.

Im Blogartikel werden Details  und Hintergründe zum Film und dieser Einschätzung beleuchtet und alternative Präventionsideen für den Unterricht vorgeschlagen.

 

Ganz schön starker Tobak...

Das Filmende bleibt offen und wirkt trotzdem ernüchternd und knallhart. Als Zuschauer bleibt man sprachlos zurück und hat das dringende Bedürfnis, alle Fenster zu öffnen, um die bedrückende Atmosphäre nach diesem heftigen Thriller verschwinden zu lassen.

 

Mit dem Spielfilm «Das weisse Kaninchen» weist Regisseur Florian Schwarz schonungslos darauf hin, dass hinter jeder harmlosen Internetbekanntschaft ein  gewissenloser Mörder und Kinderschänder stecken kann. Dabei bedient der Film thematisch viele Clichées und wird gleichzeitig als filmisches Meisterwerk gehandelt. Aber eignet sich der Film und diese Schockmethode auch für die Prävention?



Was ist Cybergrooming?

Bei Cybergrooming erschleicht sich jemand im Internet - getarnt durch eine Scheinidentität - nach und nach das Vertrauen eines potenziellen Opfers, häufig in Chats und Foren. Dies kann über eine längere Zeit geschehen. Im zweiten Schritt werden die Opfer - oft Kinder und Jugendliche mit geringem Selbstvertrauen -  sexuell genötigt. Sie sollen intime Bilder/Filme anschauen, von sich selber erstellen und dem Täter senden. Nicht selten hat der Täter zum Ziel, das Opfer auch im echten Leben zu treffen.

Das weisse Kaninchen - Inhalt

Ausgerechnet Vertrauenslehrer Simon Keller (Devid Striesow) ist am Ende der Gerissenste unter den Bösen. Er, der die Klasse darüber unterrichtet, wie sie sich online verhalten soll, erschleicht sich im Netz als 17-jähriger «Benny» mit niedlichem Kaninchen-Icon das Vertrauen leichtgläubiger Mädchen.

Sein pädokriminelles Verhalten fällt zunächst nicht auf, im Gegenteil. Seine Tarnung scheint nahezu perfekt. Als er der 13-jährigen Sara (Lena Urzendowski) geschickt als Helfer zur Seite steht, weil sie nach einer naiven Tat durch Kevin erpresst wird und nicht mehr weiter weiss, erreicht das Psychodrama seinen Höhepunkt. Simon Keller manipuliert und benutzt Sara für seine eigenen perfiden Gelüste.

Didaktisch geschickt, möchte man meinen, denn tatsächlich kann hinter jedem Unbekannten letztlich ein pädokrimineller Täter stecken. Doch wenn der Eindruck zurückbleibt, dass man im Extremfall auch auf einer Beratungsstelle niemandem trauen kann, verlieren Opfer jede Hoffnung.

Das Internet als Horrorland

Und so werden wir Zuschauer knallhart in die magische Welt von gefährlichen Chatforen, inexistenten Traumprinzen, gutgläubigen Möchtegern-Prinzessinen und ungeklärten Mordfällen geworfen. Wie leicht sich ein Mädchen innert kürzester Zeit übertölpeln lässt, sexy Bilder und pornografische Filme von sich zu versenden, trifft leider allzu oft auch im wirklichen Leben zu. Und trotzdem macht man es sich zu einfach, nur die Schattenseiten aufzuzeigen und das Netz zu verteufeln: Der Film komprimiert nämlich den «Tatort Internet» bis zur Schmerzgrenze. Übergriff, Erpressung, lachhaft unfähige Eltern, Mord, Betrug und Totschlag und ein hilfloses Opfer im pubertären Chaos, das vollkommen alleine von einer Katastrophe in die nächste schlittert.

Das ist schwer auszuhalten. Ganz sicher gibt es nicht wenige Eltern, die nach dem Film am liebsten zu grotesken Massnahmen greifen und den Kindern den Zugang zum Internet gleich komplett verbieten möchten...

«Im Internet sind viele Jäger unterwegs, und wer nicht aufpasst, wird leicht zur Beute.»

Simon Keller, Vertrauenslehrer und Täter


Reaktionen zum Film

Die Reaktionen zum Film in der Presse sind durchwegs positiv: Künstlerisch absolut hochstehend, ausserordentlich kreativ, ein Film zum echten Miterleben der Internetgefahren...
ist da beispielsweise zu lesen.  Es werden bereits Preise und Auszeichnungen in Aussicht gestellt. Und tatsächlich sind die schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller Devid Striesow und Lena Urzendowski absolut grossartig. Auch der Vergleich zwischen dem Wunderland von Alice und dem Internet ist ein genialer Kunstgriff und nicht zuletzt muss auch die Umsetzung der Chat-Szenen als Katzen-Kaffee-Dialoge gewürdigt werden.

 

Aber: Dieser Film ist kein harmloser Jugendfilm.

Dieser Film allein ist auch keine Prävention.

Ein Film für den Unterricht?

Trotz aller künstlerischer Höhenflüge: Eine Vorführung ohne intensive thematische Vor- und Nachbereitung  der jugendlichen Zuschauer halte ich für eine totale Überforderung und pädagogisch äusserst fragwürdig. Für eine echte Prävention und das Erlangen medienkompetenten Verhaltens reicht ein 90minütiger Psychoschocker keinesfalls, sondern verunsichert potenzielle Opfer erst recht.



Angebote Prävention - Wissen, wie's geht!

Um Kinder und Jugendliche tätsächlich zu kompetenten Internetnutzern zu machen, reicht das Anschauen eines Thrillers bei Weitem nicht aus. Viel effektiver ist, einerseits, den Umgang und Wert persönlicher Daten zu kennen und zu schützen und andererseits, echtes Interesse zu zeigen, für das, was die Kinder tun. Nur so wird es möglich, konkrete Hinweise und Tipps bereits im Voraus zu vermitteln. Dazu gehören auch Kenntnisse über eine alternative Hilfeoption, zum Beispiel für den Fall, wenn grad pubertärer Elternknatsch herrscht.

 

Das Chatten als äusserst beliebte Freizeitbeschäftigung von Kindern und Jugendlichen einfach zu verbieten, ist ebenfalls keine Lösung, sondern führt nur dazu, dass die Kinder heimlich weiterchatten. Weitaus erfolgversprechender ist, miteinander zu besprechen, was beim Chatten beachtet werden muss und wann die Hilfe Erwachsener unbedingt nötig wird:

Chatten - aber sicher! Gib Tätern keine Chance!

4 konkrete Tipps von Handysektor:

Augen auf!

Sei bei neuen Kontakten in sozialen Netzwerken immer vorsichtig und misstrauisch. Gegen ein nettes Online-Gespräch ist nichts einzuwenden – aber vertraue niemals blind: Du weisst nie, wer sich wirklich hinter dem Profil verbirgt!

 

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!
Erzähle möglichst wenig über dein Privatleben und gehe nur sehr sparsam mit persönlichen Daten um. Schütze deine Online-Profile, indem du nur wenige Angaben zu dir selbst machst und die Privatsphäre-Einstellungen sicher einstellst.

Zu schön, um wahr zu sein!

Dein Chatpartner wohnt in derselben Stadt, hat die gleichen Hobbies und hört dieselbe Musik wie du? Bloss nicht alles glauben! Du kannst nicht prüfen, was stimmt – und was dein Chatpartner nur schreibt, um Vertrauen aufzubauen.

 

Genug ist genug

Sind dir Chat-Situationen unangenehm, blockiere den Kontakt! Du musst dich vor niemandem rechtfertigen – und schon gar nicht vor deinem Chatpartner. Besonders kritisch solltest du werden, wenn ständig auf sexuelle Themen angespielt wird. Dann heißt es besser: Abstand halten. Kontakt abbrechen.



Werde misstrauisch, wenn...

  • dein Chatpartner möglichst schnell aus öffentlichen Chaträumen in private Chats wechseln möchte.
  • dein Chatpartner auffallend viele gleiche Interessen wie du hegt.
  • dein Chatpartner kaum auf deine Fragen eingeht und sich der Chat nur auf dich konzentriert.
  • dein Chatpartner dich mit Komplimenten überhäuft und dir ständig schmeichelt.
  • dein Chatpartner persönliche Dinge wie Adresse, Handynummer etc. von dir erfahren will.
  • dein Chatpartner dir rät, niemandem von eurer Bekanntschaft zu erzählen.


Wende dich sofort an eine erwachsene Person, wenn...

  • dein Chatpartner möchte, dass du deine Webcam einschaltest und dann behauptet, dass seine kaputt ist.
  • dein Chatpartner ständig auf sexuelle Themen anspielt oder dich direkt darauf anspricht.
  • dein Chatpartner intime Bilder, Videos oder Web-Cam-Chats von dir fordert.
  • dir dein Chatpartner intime Bilder oder Videos von sich selbst schickt.
  • dir dein Chatpartner ein schlechtes Gewissen einreden will, wenn du seinen Forderungen nicht nachkommst.
  • dein Chatpartner dir damit droht, persönliche Dinge von dir zu veröffentlichen oder Geld von dir wil.

Wenn ein Cybergrooming-Täter zu sexuellen Handlungen auffordert oder ein Treffen anstrebt, ist dies eine versuchte Straftat 

Art. 22 StGB.

Weitere Informationen zum Schweizer Strafrecht bezüglich Cybergrooming findest du auf diesem Link.


Unterrichtsideen MS 2:

Wie kommt ein Täter an die Infos?

Tipps zum sicheren Chatten für Kids:

Ein Täter ist ein Meister darin, dir Informationen zu entlocken.  Die Geschichte von Shannon macht das deutlich:

Download
Geschichte von Shannon
gefahrimnetz.pdf
Adobe Acrobat Dokument 38.3 KB

Auch im «Medienkompass» ist dem Chatten ein ganzes Kapitel gewidmet:

und auf dem Poster von Jugendschutznet werden die wichtigsten Infos für Kids zusammengefasst:


Hilfe rund um die Uhr:


Unterrichtsideen OS:

Let's talk about Porno

Durch den ironischen Spot «Cybersex» wird klar, dass man nie sicher wissen kann, mit wem man gerade über das Internet kommuniziert.

Im Anschluss zeigt das Arbeitsblatt «Sexy Chat», wie man auf sexuelle Anmache in Netzwerken reagieren kann.

Download
Zusatzmodul_Porno_Sexy_Chat.pdf
Adobe Acrobat Dokument 238.0 KB

Auf diesem Link findest du das gesamte Zusatzmodul 5 «Let's talk about Porno» von Klicksafe mit Arbeitsmaterialien für Schule und Jugendarbeit. (8.5 MB)


Quellen und weitere Infos:

Klicksafe: Schutz vor Cybergrooming

Handysektor: Sexuelle Belästigung in Chats

Medienkompass Lehrmittel Band 1 und 2

 

Der Film «Das weisse Kaninchen» ist im Baarer Archiv von nanoo.tv zu finden. Empfehlung: Nur nach persönlicher Vorvisionierung und thematischer Vorbereitung eng begleitet und auszugsweise im Unterricht einsetzbar ab der 3. Oberstufe.

 

Auch die Diskussionssendung «Maischberger» im Anschluss an den Film ist im nanoo.tv-Archiv abgelegt.

 

Weitere Infos zum Film «Das weisse Kaninchen»:

Welt.de: Filmkritik Die Jäger sind los

Zeit.de: Filmkritik Alice im Horrorland


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Kommentare: 1
  • #1

    Markus Brazerol (Montag, 03 Oktober 2016 15:58)

    Cybergrooming -> Wieder etwas gelernt :-). Allerbesten Dank